Di quella umile Italia fia salute
per cui morì la vergine Cammilla,
Eurialo e Turno e Niso di ferute.
poetisch-literarisch
Aus jenem demütigen Italien wird Rettung kommen,
für das einst die jungfräuliche Kamilia starb,
und Euryalus, Turnus und Nisos blutiger Tod.
elegant-historisch
Aus dem bescheidenen Italien wird Erlösung erstehen,
dem Kamilia, Turnus, Euryalos und Nisus
einst ihr Leben in blutiger Tapferkeit weihten.
sinnbetont
Das schlichte Italien wird Heil erfahren,
jenes Land, für das Kamilia, Euryalus, Turnus und Nisos
im Kampf verwundet starben.
Historischer und literarischer Kontext
Diese Verse stehen kurz vor dem Ende von Canto I und sind Teil der Rede Vergils, der Dante Hoffnung macht auf eine Rettung durch eine kommende Gestalt (il veltro, V.101), die für „jenes demütige Italien“ Heil bringen wird. Dante greift hier auf episch-römische Topoi zurück, besonders aus Vergils Aeneis.
• "umile Italia" – Diese Wendung bezieht sich nicht auf ein politisch geeintes Italien, sondern auf das geographische und kulturelle Erbe Italiens, das sich unter der Last politischer Zersplitterung und moralischen Niedergangs beugt. „Demütig“ bedeutet hier nicht nur bescheiden, sondern auch erniedrigt, unterjocht – ein impliziter Kommentar auf die damalige politische Lage (Fremdherrschaft, innere Zwietracht).
• Camilla, Euryalos, Turnus, Nisos – Figuren aus Vergils Aeneis, allesamt jugendliche Kriegshelden, die im Dienste eines größeren politischen Ideals (der Gründung Roms) ihr Leben lassen:
• Camilla: Jungfräuliche Kriegerin, mit Diana assoziiert, stirbt im Dienst für Latium.
• Euryalus und Nisus: Symbol für Freundschaft und gegenseitige Opferbereitschaft, sterben in einer nächtlichen Aktion gegen die Rutuler.
• Turnus: Gegner Aeneas’, stirbt im Zweikampf, wodurch Aeneas’ göttlicher Auftrag sich erfüllt.
• Dante evoziert diese Helden, um sein Ideal eines geopferten, aber ruhmreichen Italiens zu erinnern und einer zukünftigen Heilsgestalt entgegenzusetzen.
Allegorisch-politische Dimension
Die Berufung auf Aeneas und seine Gefolgsleute ist nicht willkürlich: In der Welt der Commedia ist Vergil selbst der Autor der Aeneis – also Schöpfer des mythologisch-politischen Ursprungs Roms. Dante konstruiert ein narratives Echo:
• Wie Aeneas Rom gründete nach göttlichem Auftrag, so wird auch „der Windhund“ (il veltro) eine neue Ordnung bringen.
• Die toten Helden stehen paradigmatisch für den Opfermut, der einem göttlich geführten Projekt zugrunde liegt.
• Italia umile ist ein bewusstes Gegenbild zu einem einst stolzen Imperium: Es wartet auf Erlösung – politisch wie moralisch.
• Dante vermittelt somit eine theologisch-politische Prophetie: Die geschändete, gespaltene Heimat bedarf einer rettenden Ordnung, deren spiritueller Kern Gerechtigkeit und Tugend ist, nicht Machtgier.
Poetische Strategie und intertextuelle Tiefe
Die Allusion auf Vergils Aeneis ist nicht nur eine Hommage, sondern auch ein stilistischer Akt der Aneignung. Dante stellt seine Dichtung als Fortsetzung der lateinischen Epik dar – aber mit christlichem Ziel.
• Diese Terzine bindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander: Die Vergangenheit (Vergils Helden), die Gegenwart (Italiens Zustand) und die Zukunft (die verheißene Rettung).
• Der Reim „Cammilla – ferute“ ist klanglich weich, aber semantisch hart: Er verbindet Weiblichkeit und Tod, Opfer und Wunde – ein Kontrast, der die Pathosladung der Passage erhöht.
Theologische Lesart
Man kann diese Terzine auch typologisch lesen:
• Die Helden, die ihr Leben für Italien geben, stehen als „Typen“ für Christus – Vorläufer, die das Ideal des Opfermuts vorwegnehmen.
• „Salute“ (Rettung, Heil) hat nicht nur eine politische Bedeutung, sondern auch eine eschatologische Konnotation. Wie Christus Heil bringt, so wird „il veltro“ ein säkularer Christus – ein erlösendes Prinzip von Gerechtigkeit auf Erden.
Fazit
Diese drei Verse verdichten Dantes politisch-moralisches Programm: Die Berufung auf klassische Heldenfiguren ist kein nostalgischer Akt, sondern ein Aufruf zur sittlichen Erneuerung. Sie dienen als Spiegel und Mahnung, dass wahres Heil (salute) weder aus Herrschsucht noch aus Parteigängertum kommt, sondern aus Tugend, Opferbereitschaft und göttlicher Ordnung.