ché questa bestia, per la qual tu gride,
non lascia altrui passar per la sua via,
ma tanto lo ’mpedisce che l’uccide;
poetisch-expressiv
Denn dieses Untier, das dich so erschreckt,
versperrt den Weg, auf dem man weitergeht,
und hemmt so lang, bis man zugrunde geht.
theologisch-existenzial
Dieses Tier, das deinen Schrei hervorruft,
lässt niemand seinen Weg fortsetzen,
es hindert ihn so lange, bis es ihn vernichtet.
bildhaft-allegorisch
Die Bestie, die dich zum Aufschrei bringt,
lässt keinen Wanderer an sich vorbei,
sie hält ihn fest, bis sie sein Leben bricht.
1. Allegorische Bedeutung
• Diese drei Verse beziehen sich auf die Wolfin (la lupa) – eine der drei Bestien, die Dante den Weg zum Sonnenberg versperren. Allegorisch steht sie für die ungezügelte Gier / Habgier (avarizia) oder auch allgemein für die Concupiscentia, die sündhafte Begierde. Im Kontext der mittelalterlichen Morallehre ist sie das Symbol der zerstörerischsten Leidenschaft: jener, die niemals satt wird.
• Die Aussage „non lascia altrui passar per la sua via“ verweist allegorisch darauf, dass Habgier den Menschen vom Pfad der Tugend (des Heilwegs) abhält. Sie steht nicht nur im Weg – sie tötet. Das Tier bringt nicht nur geistige Stagnation, sondern endgültigen geistlichen Tod.
2. Philosophisch-theologische Perspektive
• Aquinas zufolge (und hier ist der thomistische Einfluss in Dante deutlich) kann das höchste Gut – Gott – nur erreicht werden, wenn der Wille nicht durch niedere Güter korrumpiert wird. Die Wolfin ist Ausdruck eines fehlgeleiteten Willens, der sich dem Endziel des Menschen (Gott) entgegenstellt. Sie ist eine Antinomie zu Augustinus' Idee des „ordo amoris“, also der rechten Ordnung der Liebe.
• „l’uccide“ ist kein metaphorisches Bild allein – es bezeichnet die endgültige Trennung von Gott: den spirituellen Tod.
3. Psychologisch-existenzielle Perspektive
In einer existenzialpsychologischen Lesart steht die Wolfin für eine alles verschlingende Leere, eine psychische Dynamik der Selbstzerstörung durch innere Gier oder Zwang. Der Mensch, der der Gier verfallen ist, wird daran nicht einfach nur gehindert – sondern „er wird daran zugrunde gehen“. Das spricht eine düstere anthropologische Erkenntnis aus: Der Mensch kann sich selbst zum Verhängnis werden, wenn er nicht zur Umkehr fähig ist.
4. Poetisch-stilistische Analyse
• "per la qual tu gride" – der Ausdruck betont die emotionale Wirkung der Bestie: nicht nur ein Hindernis, sondern ein Schrecken, der zur Verzweiflung treibt.
• Die Alliteration in „passar per“ und der Rhythmus des Verses verleihen der Passage einen spürbaren Staucharakter – passend zum inhaltlichen „Blockieren“ des Weges.
• „lo ’mpedisce“: Das Wort hat im Italienischen eine körperlich spürbare Konnotation – ein tatsächliches Festhalten, ein Gefesselt-Sein. Es ruft Bilder des Gefangenseins und der Bewegungslosigkeit hervor.
• „l’uccide“ als Versende ist eine Zäsur: abrupt, vernichtend. Die Klangwirkung – das harte „-cide“ – wirkt wie ein finaler Schwertstich.
5. Literarhistorischer Kontext
Dante bezieht sich mit der Figur der Wolfin vermutlich auch auf biblische und klassische Traditionen:
• In der Bibel ist die „Wolfin“ (z. B. Jeremia 5:6) ein Bild der Zerstörung.
• In der römischen Geschichte (Gründungsmythos Roms) wird die Wölfin jedoch auch positiv als Nährerin gesehen – Dante kehrt dies bewusst um.
• In der mittelalterlichen Allegorie (z. B. in Bonaventura oder Isidor von Sevilla) wird die Gier als nie gesättigte Bestie beschrieben – eine Assoziation, die Dante hier poetisch vollendet.