Rispuosemi: «Non omo, omo fui,
e li parenti miei furon lombardi,
mantoani per patria ambedui.
poetisch-elegant
Er antwortete mir: »Kein Mensch bin ich mehr – doch einst war ich es.
Meine Vorfahren stammten aus der Lombardei,
beide waren Bürger von Mantua.«
wörtlich-nah
Er sprach zu mir: »Kein Mensch bin ich – ein Mensch war ich.
Meine Eltern waren Lombarden,
beide stammten aus Mantua.«
modernisiert und zugänglich
Er sagte: »Ich bin kein Mensch mehr – aber ich war einmal einer.
Meine Familie kam aus der Lombardei,
und beide Eltern waren aus Mantua.«
Literarische Perspektive
Diese Verse sind Teil der berühmten Szene, in der Dante dem Geist Vergils begegnet. Der Sprecher enthüllt seine Identität: Vergil, der römische Dichter. Mit großer Würde und Klarheit erklärt er, dass er kein lebender Mensch mehr ist, sondern ein Geist – ein klassisches Motiv der Reise in die Unterwelt (Katabasis).
> „Non omo, omo fui“ – Die lakonische Antithese wirkt fast epigrammatisch. Sie betont den Zwischenzustand zwischen Leben und Tod und bringt eine erste Berührung mit der jenseitigen Welt.
• Die Angabe der Herkunft verweist auf Vergils reale Biografie – er war aus Mantua, was Dante mit großem Respekt hervorhebt.
Historisch-biografische Perspektive
• Vergil (Publius Vergilius Maro) wurde 70 v. Chr. in Andes bei Mantua geboren.
• Die Bezeichnung „Lombarden“ verweist auf das geographische Gebiet Norditaliens – zur Zeit Dantes war dies eine politisch zersplitterte Region, aber kulturell bedeutsam.
• Dante bezieht sich auf Vergil als kulturellen und geistigen Vater – der Ausdruck seiner Herkunft hebt seine Bindung an Italien hervor, wenngleich er in römischer Zeit lebte.
• Besonders bedeutungsvoll ist die Betonung „mantoani per patria ambedui“ – beide Elternteile sind aus Mantua, was die Reinheit der Herkunft unterstreicht.
Philologisch-sprachliche Perspektive
• „Non omo, omo fui“ nutzt eine strikte Parallelstruktur (Chiasmus: non – omo – omo – fui), mit starker rhetorischer Wirkung.
• „Lombardi“ und „mantoani“ werden als Adjektive gebraucht – charakteristisch für die stilistische Dichte Dantes.
• Das Wort „patria“ (Vaterland, Heimat) hat bei Dante eine hohe emotionale und politische Bedeutung, denn sein eigenes Exil hatte seine Bindung an Florenz zerrissen.
Allegorisch-theologische Perspektive
• Vergils Aussage ist doppeldeutig:
• Einerseits stellt er sich als verstorben vor.
• Andererseits steht er symbolisch für die menschliche Vernunft (ratio naturalis), die Dante auf dem Weg zur Erlösung zunächst führt.
• Diese Szene markiert einen theologischen Wendepunkt: Der Mensch erkennt, dass Vernunft allein ihn aus dem Wald der Sünde herausführen kann, nicht aber ins Paradies – dafür braucht es später Beatrice (Gnade, Offenbarung).
• Die Herkunft Vergils betont seine Menschlichkeit, aber auch seine Begrenztheit – er ist nicht göttlich, aber groß.
Zusammenfassung
• Literarisch | Einführung des Führers Vergil, Beginn der Reise
• Historisch | Reale Biografie Vergils, Anknüpfung an die römische Antike
• Philologisch | Stilistisch prägnante und kunstvolle Formulierungen
• Allegorisch | Vergil = menschliche Vernunft; nicht lebendig, aber weise