E qual è quei che volontieri acquista,
e giugne ’l tempo che perder lo face,
che ’n tutt’i suoi pensier piange e s’attrista;
poetisch-einfühlsam
Wie einer, der mit Freude reichlich sammelt,
doch kommt die Stunde, da er alles verliert,
und seine Gedanken sind nur noch Trauer und Leid.
bildhaft-dramatisch
Wie einer, der mit Eifer Schätze anhäuft,
und dann die Stunde schlägt, da er sie verliert,
versinkt er ganz in Kummer und Schmerz.
nüchtern-präzise
Wie jemand, der mit Freude etwas gewinnt,
doch dann kommt die Zeit, in der er’s verliert,
> und in all seinen Gedanken weint er und verzweifelt.
Wörtliche Bedeutung (Philologische Ebene)
"E qual è quei che volontieri acquista"
→ "Und wie der ist, der gern erwirbt" – gemeint ist jemand, der mit Freude etwas gewinnt oder erreicht (nicht nur materiell, auch geistig oder moralisch).
"e giugne ’l tempo che perder lo face"
→ "und es kommt die Zeit, die ihn verlieren lässt" – ein Wendepunkt, wo das Gewonnene verloren geht. Ausdruck tiefer, schicksalhafter Wende.
"che ’n tutt’i suoi pensier piange e s’attrista"
→ "der in all seinen Gedanken weint und sich betrübt" – die gesamte Psyche ist von Schmerz durchdrungen.
• Dante verwendet hier eine Vergleichsstruktur (similitudo): Er beschreibt seine emotionale Lage durch ein Bild aus dem menschlichen Alltag, das universelle Gültigkeit hat.
Psychologische und emotionale Bedeutung
• Dieser Vergleich vermittelt intensive Verzweiflung und inneren Zusammenbruch:
• Hoffnung, Freude und Mühe werden zunichtegemacht.
• Der Schmerz liegt nicht nur im Verlust selbst, sondern auch in der Erkenntnis, dass alles umsonst war.
• Dantes Rückzug vor der Wölfin wird dadurch nicht nur als körperliches Zurückweichen, sondern als innerlicher psychischer Zusammenbruch dargestellt.
Poetische Mittel
• Anapherische Struktur: Die drei Verse sind durch syntaktische Parallelen verbunden.
• Antithese: Gewinn – Verlust → Freude – Trauer.
• Emotionaler Crescendo: Der Vergleich beginnt sachlich und endet in einer vollständigen inneren Erschütterung.
• Enjambements verbinden die Gedankenlinie nahtlos.
Philosophisch-theologische Dimension
• Dante stellt hier den Sturz des Willens dar: Der Mensch strebt nach dem Guten (acquista), wird aber durch Sünde und Schwäche (symbolisiert durch die Lupa) zur Verzweiflung gebracht.
• Dies entspricht der augustinischen Anthropologie: Der Mensch fällt, wenn er sich von der Gnade entfernt.
• Auch eine moralpsychologische Lektion: Wer sich an zeitlichen Gütern erfreut, wird zwangsläufig Leid erfahren, wenn sie schwinden.
Narrativer Zusammenhang (Kontext in Canto 1)
• Die Stelle folgt auf Dantes Flucht vor der Wölfin, die den Weg zum „diritta via“ versperrt.
• Der Vergleich erklärt die emotionale Zäsur: Hoffnung auf Rettung wird von der Erkenntnis über den eigenen moralischen Zustand abgelöst.
• Hier beginnt der Umschwung, der zur Begegnung mit Virgil führt.
Rezeption und Wirkung
• Dieser Vergleich wurde in der Literaturgeschichte oft als Modell für tragische Fallhöhen betrachtet (z. B. bei T. S. Eliot).
• In der mittelalterlichen Rhetorik ist dies ein exemplum doloris, das den Leser mit dem Pilger emotional verbindet.